Die Frömmigkeit der Endzeit
Vor nicht ganz 2.000 Jahren lieĂ Gott durch den Apostel Paulus folgende Charakterisierung der letzten Tage der
Menschheit niederschreiben: âDas aber sollst du wissen, dass in den letzten Tagen schlimme Zeiten eintreten werden. Denn die Menschen werden Liebhaber ihres eigenen Selbst sein, geldgierig sein, prahlerisch,
ĂŒberheblich, LĂ€sterer, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig, lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, unbeherrscht, gewalttĂ€tig, dem Guten Feind, VerrĂ€ter, leichtsinnig, aufgeblasen; sie lieben das
VergnĂŒgen mehr als Gott; dabei haben sie den Ă€uĂeren Schein von Gottesfurcht (oder: Ă€uĂere Form von Frömmigkeit), deren Kraft aber verleugnen sieâ (2. Timotheus-Brief, Kapitel 3, Verse 1 bis 5b).
Wer sich anno 2015 in der Gesellschaft des sogenannten christlichen Abendlandes umschaut, wird feststellen mĂŒssen: Fast alles, was Gottes Wort fĂŒr die Menschen der letzten Tage prognostiziert, ist
heute zu beobachten. Nur bei einem Punkt scheint die Sache nicht so eindeutig: bei der Gottesfurcht bzw. der Form von Frömmigkeit. Die etablierten Kirchen des Westens verlieren von Jahr zu Jahr mehr Mitglieder. Der
christliche Glaube verflĂŒchtigt sich. Bei den Heranwachsenden im christlichen Abendland spielen Gottesfurcht oder Frömmigkeit kaum noch eine Rolle. Wo zeigt sie sich, die Frömmigkeit der letzten Tage anno 2015?
Der Mensch war und ist hoffnungslos religiös. Eine aktuelle Studie, fĂŒr die das Meinungsforschungs- institut WIN/Gallup International (ZĂŒrich) rund 64.000 Menschen in 65 LĂ€ndern befragte,
ergab: Zwei Drittel der Weltbevölkerung (63 Prozent) bezeichnen sich als religiös. Aber auch die Nichtreligiösen sind auf der Suche nach Sinn im Leben. Hier stellt sich die Frage, ob sie nicht vielleicht â eher
versteckt â religiös sind. Das zeigt zum Beispiel eine verhĂ€ltnismĂ€Ăig neue Bewegung, die man am treffendsten als âKirche ohne Gottâ bezeichnen könnte.
Im Januar 2013 eröffneten zwei britische Komiker in London die Sunday Assembly (Sonntagsversammlung). Auf Anhieb kamen 300 Personen. WÀhrend der Sonntagsversammlung werden gemeinsam alte
Popsongs gesungen, literarische Texte oder eigene Gedichte vorgelesen, VortrĂ€ge ĂŒber wissenschaftliche und gesellschaftliche Themen gehalten, Zeiten der Stille werden in die Stunden eingebaut, und am Ende wird
auch eine Kollekte gesammelt. Nach der Hauptveranstaltung, deren Hauptziel sein soll âdas Leben zu feiernâ, gibt es dann auch so etwas wie ein âKirchenâ-CafĂ© mit einem Austausch ĂŒber das Gehörte. Die
Sunday-Assembly-Bewegung versteht sich als nichtreligiöse bzw. atheistische Gruppe, die aber durchaus Sinnfragen und religiöse Themen wÀhrend ihrer Stunden behandelt und diskutiert. Mittlerweile zÀhlt die
Bewegung an die 90 âGemeindenâ weltweit â darunter auch in Hamburg und Berlin. WĂ€hrend bei den âSunday Assembliesâ Gott keine Rolle spielen darf und soll, ist das bei einer ganz neuen
Bewegung in den USA völlig anders. Immer mehr christliche Gemeinden öffnen sich in den USA auch fĂŒr die ReligiositĂ€t von Nichtchristen. Nach dem Motto: âDu darfst deinen Gott ruhig mitbringen!â Eine davon
ist die Gemeinde von Pastor D.E. Paulk. Er ist Haupt-Pastor in der Kathedrale des Heiligen Geistes in Atlanta. Ein Journalist des US-Fernsehsenders CNNbeschreibt einen Gottesdienst von Paulk so: âDer
Gottesdienst machte anfangs den Eindruck eines pfingstkirchlichen Erweckungszelt-Gottesdienstes, nahm dann aber eine ungewöhnliche Wendung. Eine Gruppe von SĂ€ngerinnen und SĂ€ngern kam auf die BĂŒhne und begann
mit einem hypnotischen, tibetanisch-buddhistischen Gesang, der den Geist des MitgefĂŒhls, âOm Mani Padme Humâ, wachrufen sollte. Der Gesang wechselte dann zu âShanti, Shanti Omâ, einem Hindu-Gebet fĂŒr den
Frieden. WĂ€hrend das Singen lauter wurde, fielen Trommeln und BĂ€sse ein, und die SĂ€nger gingen zu einem muslimischen Gesang ĂŒber die Herrschaft Allahs ĂŒber: âEs gibt keinen Gott auĂer Allah.ââ
Im Glaubensbekenntnis von Pastor Paulks Gemeinde findet man folgende Aussagen: âGott hat die Welt durch Christus mit sich selbst versöhnt. Das Werk des Heiligen Geistes ist es, uns in alle Wahrheit zu
fĂŒhren. Nicht nur in die biblische oder christliche Wahrheit. Wir sind Wahrheitssucher, die sich darum bemĂŒhen, die Welt von der Liebe Gottes zu ĂŒberzeugen und nicht die Welt zum Christentum zu bekehren.â
Paulks Theologie ist gegrĂŒndet in der Lehre des Inklusivismus. Danach ist jeder Mensch auch ohne Bekehrung und Glauben durch Jesus lĂ€ngst versöhnt mit Gott und natĂŒrlich errettet fĂŒr die Ewigkeit.
Im Inklusivismus geht es nur noch darum, diese angeblich alle Menschen umfassende Liebe Gottes bekannt zu machen, bzw. Menschen davon zu ĂŒberzeugen. In Paulks Gemeinde in Atlanta wird exakt das ausgelebt, was der
Timotheus-Text beschreibt: eine gewisse Gottesfurcht bzw. Form von Frömmigkeit. Wie sehr evangelikale Theologie von dieser Frömmigkeit der Endzeit mehr und mehr durchzogen wird, zeigen auch neue
Missionsstrategien und neue BibelĂŒbersetzungen im evangelikalen Lager, die sich unter dem Oberbegriff âKontextualisierungâ wiederfinden. Ausgehend von der Feststellung, dass es Kulturen gibt, die ganz dicht mit
Religion (z. B. in islamischen LĂ€ndern) verwoben sind, sind Missionstheologen schon in den 1970er Jahren auf die Idee gekommen, einen Weg zu suchen, um ĂŒber die Kultur zu missionieren. Das bedeutet fĂŒr die
islamische Welt, dass man nicht mehr missioniert wie in frĂŒheren Zeiten mit einer klaren VerkĂŒndigung des Evangeliums im direkten Gegensatz zum heidnischen Glauben, sondern man missioniert unter Einbeziehung
heidnischer Kulturelemente â also im Kontext, im Zusammenhang der vorherrschenden Kultur. âGlĂ€ubigâ gewordene Muslime verlassen deshalb nicht mehr ihre Moschee und die Moschee-Gemeinde, sondern prĂ€sentieren
sich als Nachfolger des im Koran genannten und geehrten Propheten Isa (= Jesus, aber nicht biblischer Jesus) und versuchen, ĂŒber die kulturellen PrĂ€gungen der Muslime wie Waschungen, muslimische Kleidung oder
Verzicht auf Schweinefleisch fĂŒr Isa zu werben. Einer der theologischen Wegbereiter dieser neuen Missionsstrategien war der Amerikaner Charles Kraft, der an der weltweit gröĂten evangelikalen
theologischen AusbildungsstÀtte, dem Fuller Theological Seminary(Pasadena), lehrte. Er vertrat die Ansicht, die Religion als unantastbaren Teil der Kultur anzusehen und Gott zu erlauben, durch die heidnische
Religion zu wirken, anstatt gegen sie. Verfechter dieses Missions-Konzepts, das auch unter der Bezeichnung âInsider-Bewegungâ bekannt ist, gehen davon aus, dass, wenn die Christus-Botschaft mit der heidnischen
Kultur verschmolzen werden kann, alle Völker âversöhntâ und âgeheiltâ wĂŒrden und den âSegen Gottesâ bekĂ€men. Der deutsche Bibellehrer Rudolf EbertshĂ€user, der sich mit den neuen Gemeindewachstums-Bewegungen und Missionsstrategien grundlegend und umfassend im Licht der Bibel
auseinandergesetzt hat, schreibt in seinem Buch âZerstörerisches Wachstumâ dazu: âWenn das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn echt ist, schlieĂt das den klaren Bruch mit allen heidnischen religiösen Vorstellungen ein. Die Kontextualisierung zu akzeptieren, bedeutet das Ende jeder biblischen Evangelisation unter den Heidenvölkern âŠâ Paulus, so EbertshĂ€user weiter, habe stets darauf gedrungen, sich âvon den Götzen zu Gott zu bekehrenâ. Der Glaube an Jesus Christus ohne Abkehr vom Heidentum sei eine âvöllig unzulĂ€ssige VerkĂŒrzung des Evangeliumsâ, so der Bibellehrer.
EbertshĂ€user beleuchtet in seinem Buch auch das Thema der neuen kontextualisierten BibelĂŒbersetzungen, die mit neuen âkommunikativenâ Ăbersetzungsmethoden arbeiten. EbertshĂ€user nennt in
diesem Zusammenhang die Wycliff-BibelĂŒbersetzer und prĂ€sentiert das Zeugnis eines ehemaligen Wycliff-Mitarbeiters. Er verlieĂ Wycliff, nachdem er feststellen musste, dass BibelĂŒbersetzungen fĂŒr die
muslimische Welt so gestylt werden, dass sie in das Kontextualisierungs-Programm fĂŒr Mission hineinpassen. Es stimmt schon nachdenklich, dass die Wycliff-Weltallianz in einer Stellungnahme zur Frage der
Kontextualisierung so argumentiert: âUnser Ziel ist es nicht, Menschen von einer Religion zu einer anderen zu bekehren.â John Shuk ist Pastor einer presbyterianischen Gemeinde im US-Staat Oregon.
Auch in seine Gemeinde darf jeder seinen Gott mitbringen. Shuk selber glaubt weder an Gott noch an Jesus Christus, ist aber beleidigt, wenn man ihm vorwirft, er sei kein Christ. FĂŒr ihn ist âChristentum ohne
Glaube ein Erfolgâ. Man könnte diese Aussage auch anders formulieren: âSie haben eine Ă€uĂere Form der Frömmigkeit, aber deren Kraft verleugnen sie.â Es ist die Frömmigkeit, die in den letzten Tagen
vorherrschen wird.
TOPIC Nr. 05/2015
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