Hamburger Sekten-Expertin warnt vor Nena und Fliege
Aus ihrer Genugtuung darüber, dass der Innensenator Michael Neumann (SPD) sie bei
ihrer Buchvorstellung im Rathaus begleitete, machte Ursula Caberta keinen Hehl. Schließlich war sie bei seinem CDU-Vorgänger Christoph Ahlhaus nicht wohl gelitten. Der schloss voriges Jahr die
Arbeitsgruppe Scientology, deren Leiterin Caberta fast 18 Jahre war. Und nun präsentierte Neumann das „Schwarzbuch Esoterik" der Sekten-Expertin und fand dabei warme Worte. Er wolle mit seiner
Anwesenheit Cabertas Arbeit wieder ins rechte Licht rücken. Und die dankte es ihm mit Überschwang: ,,Ich habe wieder einen tollen Senator, nach dieser Durststrecke mit Ahlhaus." Das waren dann
aber auch die letzten netten Worte, die Caberta in der folgenden Dreiviertelstunde über jemanden verlieren sollte. Was folgte, war eine Abrechnung mit dem Esoterik-Markt. Sie warnte vor einer Zunahme
esoterischer Praktiken und gefährlicher Heilslehren. Auch christlicher Fundamentalismus und politischer Irrationalismus würden zu einer Bedrohung der Demokratie werden. Nachdem Caberta bereits den
TV-Pfarrer Jürgen Fliege ins Visier genommen hatte, der wie berichtet mit obskuren Essenzen und Raumtrocknern Geschäfte machen soll, ging Caberta weitere Prominente wie Moderator Hape Kerkeling und
Sängerin Nena an. Zwar sei Nena kein Mitglied einer Sekte oder einer Esoterik-Gruppe. Dennoch trage ihr Umgang mit der vermeintlichen Heilslehre bei, dass sich Menschen dafür interessierten.
So hatte die Sängerin 2009 in der „Süddeutschen Zeitung" bekannt: „Ich bin ein Osho-Fan. Vor zwei, drei Jahren hab ich ihn für mich entdeckt." Osho - so nannte sich der
Sektenführer Bhagwan. In ihrem Buch kritisiert Caberta die Musikerin: „Sie ist sympathisch und aufgeschlossen und - sehr bekannt. Das bedeutet nichts, anderes als eine gute Werbung für ein
individuelles spirituelÂles Leben." Die Esoterik-Szene dürfe sich freuen. Besser könne es für sie nicht laufen. „Nena geistert durch die spirituelle Landschaft. Sie ist das Aushängeschild der
Esoterik-Anbieter."
Der EKD-Ratsvorsitzende wolle auf einem Esoterik-Kongressauftreten
Auch mit Kerkeling, über den Caberta sagt, dass sie ihn als Moderator schätze, rechnete sie ab. Im Zusammenhang mit seinem Jakobsweg-Bestseller stellte sich dieser als „Buddhist mit christlichem
Überbau" dar. „Wer so etwas sagt, weiß wahrscheinlich nicht, wie viele Opfer er damit produziert." Esoterik-Ideologien hält Caberta insgesamt für menschenverachtend. Im
Extremfall führten diese zu Kindesmissbrauch, Anleitung zum Suizid oder gar zu Morden. „Es gab schon immer Geister, die spirituell herumfliegen", so Caberta. Doch in den vergangenen 20 Jahren
habe sich die Szene massiv verändert. Es gebe Schätzungen, nach deÂnen die Branche in Deutschland 20 Milliarden Euro im Jahr umsetzt. Vor sechs Jahren seien es noch sechs Milliarden Euro gewesen. Die
Zahl der Anhänger soll 100 000 betragen. Gründe für den Boom seien Orientierungslosigkeit, Angst vor der Zukunft oder der Wunsch nach Veränderung im Leben. Den Anbietern von
Esoterik-Angeboten gehe es aber nicht nur um Geld. „Zunehmend fundamentalistisch ausgelegte Botschaften und eine Sehnsucht nach schnellen Lösungen für die privaten oder politischen Probleme können
den demokratischen Frieden empfindlich bedrohen", sagte Caberta. In diesem Zusammenhang kritisierte sie auch die Kirchen, sich nicht von diesem FunÂdamentalismus abzugrenzen. So dürften etwa
Vertreter der Szenen auf Evangelistischen kirchentagen sprechen. Gleichzeitig monierte Caberta, dass Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD),
offenbar auf einem Esoterik-Kongress von Jürgen Fliege auftreten wolle. Tatsächlich ist er im Programm des Treffens aufgelistet. Ein EKD - Sprecher bestätigte, dass Schneider eingeladen worden sei, er
aber den Termin abgesagt habe. Wann und warum er das tat, dazu sagte der Sprecher nichts. Schneider sei derzeit im Urlaub. Innensenator Michael Neumann sagte, dass nun eine öffentliche
Diskussion beginnen werde und die Politik darauf reagieren müsse. Es sei gut möglich, dass es zu entsprechenden Gesetzesvorschlägen kommen könne. Zwar teile er nicht jede von Cabertas Thesen. Aber im
Hinblick auf die von ihr angestoßene Fundamentalismus-Debatte in der evangelischen Kirche ergänzte er. „Ich bin mir sicher, dass sich die EKD demnächst bei mir melden wird."
Die Diplom Volkswirtin Ursula Caberta hat von 1992 bis 2010 die Arbeitsgruppe
Scientology in der Innenbehörde geleitet. Die Einrichtung wurde aus Spargründen geschlossen. Seit Januar 2011 ist Caberta Ministerialreferentin für neureligiöse,
ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen. Ihr Schwarzbuch Esoterik erscheint im Gütersloher Verlagshaus
(17,99 Euro.)
Hamburger Abendblatt vom 10.08.2011 SASCHA BALASKO
Jürgen Fliege, 64, hat seine „Fliege-Essenz" verteidigt. „Ich lege meine Hände auf
die Maschine, in der die Essenz hergestellt wird", sagte Fliege „Bild am Sonntag". Dann spreche er das Vaterunser und biblische Worte aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 13. „Wahrscheinlich
ist der Mensch, der diese Essenz kauft, einsam", sagte er. Wenn er sie dreimal am Tag nehme und dabei sage „Ich liebe, ich glaube, ich will zuversichtlich sein", dann sei das „wie
Meditation, wie Selbsthypnose". Meditation und Handauflegen seien "eine uralte christliche Tradition", so Fliege. „Jesus wurde auch als Heiler und Handaufleger bekannt« Sektenexpertin
Ursula Caberta hatte die „Fliege-Essenz" kritisiert, die für 99,95 Euro angeboten wird.
Hamburger Abendblatt vom 15.08.2011
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