Hören, spĂŒren, fĂŒhlen, erleben - sonst ist Gott tot?! oder:
âSpĂŒrst Du Gott schon oder liest Du noch die Bibel?!â
Von Thorsten Brenscheidt, Bochum
Gott erleben ist heute âinâ. Das âJahr der Stilleâ will dazu anleiten, âGottes Lebensrhythmus neu
einzuĂŒbenâ1. Die Stille soll helfen, neu auf Gott zu hören â eben ganz neu und nicht wie gewohnt durch die so gennante âStille Zeitâ
mit dem herkömmlichen Bibellesen. Das Neue zeigt sich vor allem im âauf Gott hörenâ. Wie dies funktioniert, erklĂ€rt Holger Mix in der Jugendzeitschrift âdran Nr. 3/2010â. Er ist
Jugendpastor der EFG Wölmersen, einer durch Evangelist Anton Schulte einst gesegneten BrĂŒdergemeinde. Mix betont die Wichtigkeit, Gott âwirklich zuzuhörenâ2. Dies kann man lernen und einĂŒben. Das Wort Gottes allein scheint uns nicht weiterzubringen, denn: âBibellesen ist das Ableisten einer PflichtlektĂŒre zu
Informationszwecken.â3 Da haben wir das Problem: Die Bibel informiert nur, ist bloĂe Erkenntnis, trockene Theorie, und die regelmĂ€Ăige LektĂŒre entspricht keinem echten, eigenen Verlangen, sondern ist eine lĂ€stige, aber wohl notwendige Pflicht, weil man das als Christ halt so macht.
âDabei hat Gott eine unendliche Sehnsucht, mit uns in einen lebendigen Kontakt zu treten.â4, erklĂ€rt Mix. - Stichwort: âLebendiger
Kontaktâ. âEr, der seinem Wesen nach selbst âdas Wortâ ist (Johannes 1,1), will mit mir in einer Weise kommunizieren, die meinem Wesen entspricht.â5 - Stichwort: âMeinem Wesen entsprichtâ. Mix will Lebendigkeit, und die ist mit einer PflichtlektĂŒre nicht zu haben. Das Wort mag ja Gottes Wesen sein,
aber was macht mein Wesen aus? Mix erklĂ€rt schlieĂlich die Alternative zum bloĂen Bibellesen: Das unmittelbare Erleben des Heiligen Geistes: âGenauso erfuhren es Paulus und die ersten Christen
und lebten aus dem Reden des Heiligen Geistes. (Apostelgeschichte 13,2).â6 Welche Hilfsmittel sind dazu erforderlich: Stille, das
Verborgene, TrĂ€ume in der Nacht, ein NichtunterdrĂŒcken von Gedanken und Stimmungen sowie ein bewusstes Ausrichten auf die Gegenwart Gottes.7
Ein weiteres Hilfsmittel oder eher Kennzeichen ist, dass ich etwas fĂŒhle: âDann - ganz allmĂ€hlich - tauche ich ein in seine Gegenwart. Manchmal fĂŒhlt sich das heilig an, manchmal auch ganz
schlicht.â8 Wie sich dieses âheilig anfĂŒhlenâ konkret Ă€uĂert, verrĂ€t Mix nicht. Aber schlieĂlich hat er es geschafft - er verfĂŒgt ĂŒber Gottes unmittelbare Gegenwart mit echten Ergebnissen: âIch unterhalte mich dann einfach mit ihm. Ich frage etwas, er antwortet. Diese Antwort ist oft ein Gedanke, mein eigenes lautes Reden oder ein innerer Eindruck.â9 Damit wird deutlich, dass sich alles im Inneren abspielt: Eigener Gedanke, eigenes Reden, eigener Eindruck. Dies seien die Antworten Gottes,
der aber nicht von auĂen, akustisch hörbar, antwortet. Hier nennt Mix âdas sogenannte âHörende Gebetââ10, das er als âdas Ergebnis
einer lebendigen Beziehung zu unserem himmlischen Vaterâ11 bezeichnet. Im Umkehrschluss hat damit jeder, der nichts hört, spĂŒrt, fĂŒhlt oder sonst wie erlebt, keine lebendige Beziehung zu Gott. Man könnte fast fragen: âSpĂŒrst Du Gott schon oder liest Du noch die Bibel?!â Das Gehörte mĂŒsse zwar dem gesamten biblischen Wort untergeordnet werden, aber Fakt ist: âGott redet damals wie auch heute aus der Ewigkeit in die Zeit hinein.â12
Wie ist dieses Hören und FĂŒhlen im Licht der Heiligen Schrift zu bewerten? Wir stoĂen hier auf das Problem
der Gottesunmittelbarkeit bzw. der SchwĂ€rmerei. Der Mensch meint, ĂŒber Gott verfĂŒgen zu können, indem er ihn selbst herbeiholt oder durch bestimmte Mittel manipuliert. Das Ă€uĂere Mittel, das Gott
gewÀhlt hat, um sich dem Menschen von heute zu offenbaren, ist allein sein Wort, die nach Hebr 1,1-2 abgeschlossene Offenbarungserkenntnis. Und das Verstehen dieser Offenbarung schafft nicht der Mensch
selbst, sondern wird ihm durch das souverĂ€ne Wirken des Heiligen Geistes geschenkt (1Kor 2,14). Der Heilige Geist bleibt also unverfĂŒgbar. Der Mensch kann auch nicht durch eine bestimmte Gebetshaltung
oder andere Ăbungen Ă€uĂerlich zu diesem Wirken beitragen und es dadurch erst erreichen. Dieses Beeinflussenwollen einer Geisteswirkung durch bestimmte Ăbungen, Rituale oder auch Gebetshaltungen
stammt aus dem esoterischen und mystischen Umfeld, wo es eher um das Erleben anstatt um das Verstehen des ĂbernatĂŒrlichen geht. Die Erkenntnisseite des Glaubens wird als âlĂ€stige
PflichtĂŒbungâ gesehen, wie hier noch mehrfach bezeugt wird. Die Erfahrungsseite dagegen ist âinâ â Sie bietet Neues, Frisches, Spannendes und ist einfacher und schneller zu haben. Doch kommt es
darauf an? Mehrfach wird im Neuen Testament dazu aufgefordert, nicht subjektive Erfahrungen, sondern die objektive Wahrheit des Wortes Gottes festzuhalten: 2Thes 2,15; 2Tim 1,13.3,14; 2Petr 1,19;
Offb 2,25.3,11.
Abschied von der Bibel? Im Aufatmen-Sonderheft Stille 2010 wird
unterschieden zwischen einer Stille in Freiheit und der herkömmlichen Morgenandacht: âNicht âStille Zeitâ als gequĂ€ltes Pflichtprogramm, sondern Stille in groĂer Freiheit und mit einer
Entdeckerfreude, die ahnt, dass es fĂŒr ganz unterschiedliche Leute auch ganz unterschiedliche Wege gibt, Stille zu suchen - und in ihr zu sich selbst und zu Gott zu finden.â13 Es ist erstaunlich, wie viele Autoren ihre Abkehr von der âStillen Zeitâ bezeugen. Sie wollen mehr als nur ein âgequĂ€ltes Pflichtprogrammâ. Stille
heiĂt nicht nur Bibellesen und Beten, sondern Neues entdecken. Die Bibel kennen alle schon; von daher heiĂt es, sich aufmachen nach dem Abenteuer der Mystik, des Entdeckens der Sinnlichkeit und des
Experimentierens mit Meditations- und Suggestionstechniken. Und weil es âganz unterschiedliche Leuteâ14 gibt, gibt es eben nicht nur einen Weg, Gott zu hören oder zu verstehen. Er hat sich damit den unterschiedlichen Neigungen, Interessen oder GefĂŒhlen der Menschen anzupassen. Eine âentschiedene Christinâ sagte einmal: âJeder sieht den Himmel anders, der eine so, der andere so!â Damit wird die eine Wahrheit aufgelöst. Sie kann nicht mehr beansprucht werden. Weil jeder eine andere Sichtweise und Position hat, von der er etwas sieht oder versteht, ist jede Aussage und Erkenntnis auch ĂŒber Gott nur noch relativ. Damit wird der Wert der Offenbarungserkenntnis nicht nur geschmĂ€lert, sondern schlichtweg aufgelöst. Die unterschiedlichen Ausgangspositionen fĂŒhren zu Auslegungsvarianten, an denen der Makel der SubjektivitĂ€t und damit der RelativitĂ€t klebt.
Die Stille zu suchen hat nach dem Aufatmen-Sonderheft das Ziel âin ihr zu sich selbst und zu Gott zu finden.â15 Man beachte die Reihenfolge!
Was sagt die Bibel zur Selbstfindung? Wer sein Leben findet, der wird es verlieren; und wer sein Leben verliert
um meinetwillen, der wird es finden! (Mt 10,39) Wer sein Leben zu retten sucht, der wird es verlieren, und wer es verliert, der wird es erhalten. (Lk 17,33)
Astrid Eichler erklÀrt, dass wir heutzutage nicht mehr nur die Bibel brauchen. Es ist fatal, wenn wir allein an
dem festhalten, was geschrieben steht: âVielleicht denken Sie: Aber Gott hat ja schon geredet - alles, was er uns zu sagen hatte, steht doch in der Bibel! Wozu soll er denn dann jetzt noch reden? Sein
Wort enthĂ€lt doch genug Anweisungen.â16 Astrid Eichler bezieht sich hier auf Hebr 1,1-2, wo in der Vergangenheitsform beschrieben ist,
dass Gott durch die Propheten und seinen Sohn geredet hat. Diese nun vorliegende und abgeschlossene Offenbarungserkenntnis gilt es - wie bereits erwÀhnt - festzuhalten. Doch gibt es immer noch
einige Unverbesserliche, die gemÀà dem reformatorischen Grundsatz âSola scripturaâ letztendlich krank sind: âAber selbst, wer in diesem kostbaren Wort Gottes tatsĂ€chlich liest, leidet manchmal
an einer Krankheit. Wissen Sie, was wir manchmal mit Gott machen? Wir sperren ihn ein! Ich habe Gott schon oft bei Menschen gefunden - aber er ist eingesperrt zwischen den zwei Buchdeckeln ihrer Bibel.
Denn da ist er ja drin! Und wir wissen ja, was er gesagt hat! Wir wissen, was er zu den anderen sagt, und wir wissen, was er ĂŒber die anderen sagt. Wir mĂŒssen neu wahrnehmen, wie das mit dem Wort
Gottes und seinem Reden ist.â17 Nicht das zĂ€hlt, was einmal war - wir brauchen etwas Neues, eben ĂŒber die Schrift hinaus, wovor jedoch
2Joh 9 warnt. âIn Jesus Christus hat Gott zu uns geredet - und in Jesus Christus redet er auch heute zu uns. Dass wir das Buch des Herrn nur nicht mit dem Herrn des Buches verwechseln! Dass wir
Gott nur nicht einsperren und meinen, fĂŒr alle Zeiten zu wissen, was er geredet hat!â18 Hier zeigt sich die alte, aus dem antiken
griechischen Denken stammende Trennung von Geist und Buchstabe in der Heiligen Schrift, die diese gewissermaĂen entautorisiert. âAber es geht doch darum, dass wir Gott heute und jetzt in unser
Leben hinein reden hören - mitten in unserem Alltag! Jesus ist nicht gekommen, um uns eine religiöse Lehre, sondern Leben zu bringen. Leben meint uns ganz. Leben hat mit Leidenschaft zu tun.â19 Wie soll dieses Hören funktionieren? Die weiteren Autoren des Aufatmen-Sonderheftes sprechen, wie die noch folgenden Beispiele belegen,
immer wieder vom âIn sich hineinhörenâ. âOffensichtlich haben sich manche daran gewöhnt, dass in unserer Beziehung zu Gott der Tod im Topf ist. Wir sagen: âHauptsache, wir haben das
Wort!ââ20 SpĂ€testens an dieser Stelle zeigt sich, dass bibeltreue Christen einerseits und Astrid Eichler andererseits aus
unterschiedlichen Quellen schöpfen. Wer im Glaubensleben nur am Wort festhĂ€lt, ist also tot. âWir haben es nötig, ihn wieder ganz neu zu entdecken!â21 Das funktioniert am besten oder eigentlich ausschlieĂlich durch das Wort. Neue, frische und belebende Erkenntnis hĂ€lt den Glaubenden am Leben und nicht
im Tod. âLassen wir Gott doch herauskommen aus der Enge, in die wir ihn oft eingesperrt haben. Lassen wir ihn doch hineinkommen in unseren Alltag. Nehmen wir uns doch Zeit, zu ĂŒben, seine Stimme zu
hören. Geben wir ihm doch den Freiraum der Stille, um aufmerksam zu werden. Dann wird das Leben spannend. Die kirchliche Langeweile hat damit zu tun, dass wir Gott so wenig in unser Leben, in unseren
Alltag hinein lassen und so wenig erwarten, dass er dort redet.â22 Diese Vorstellung geht davon aus, dass der Mensch Gott in sein Leben
einbeziehen könne. Der Mensch lebt sein eigenes Leben und erlaubt Gott, daran Teil zu haben - oder, wie es Christina Brudereck bei der Missionale 2010 ausdrĂŒckte, seinem "eigenen Herzen folgen und
erwarten, dass Gott sich einmischt"23. Astrid Eichler will Spannung im Leben und keine Langeweile. Diese Spannung ist mit der Bibel
nicht zu haben; also gilt es, Neues einzuĂŒben. Die weiteren Autoren geben hier konkrete Beispiele. Henri Nouwen erklĂ€rt, wie der Mensch die Grundlagen schaffen kann: âEinsamkeit, Gemeinschaft und
Dienst - wenn wir diese FreirĂ€ume schaffen, in denen Gott handeln und reden kann, wird Ăberraschendes passieren.â24 âBeten heiĂt,
diese Stimme, die Stimme deines Liebhabers, ins Zentrum deines Seins sprechen zu lassen, tief in dein Inneres hinein, sie widerhallen zu lassen in deiner gesamten Existenz.â25 Diese abstrakte Formulierung lĂ€sst noch nicht erahnen, wie dieses âsprechen lassenâ sich denn nun konkret ereignen soll. âSobald man allerdings
die Stille sucht und sitzt und ruhig wird, kommen Àrgerlicher Weise hÀufig solche Gedanken ... Es ist nicht einfach, die Stille zu suchen und darauf zu vertrauen, dass Gott in der Einsamkeit zu dir
redet - nicht als magische Stimme, sondern so, dass er dich nach und nach etwas wissen lĂ€sst. In diesem Wort Gottes wirst du den inneren Platz finden, von dem aus du dein Leben gestalten kannst.â26 An dieser Stelle sei an ein Luther-Zitat erinnert, wo es auch ums stille Sitzen geht: âDeshalb mahne ich euch vor solchen verderblichen
Geistern - die sagen, ein Mensch empfĂ€ngt den Heiligen Geist durch stilles Sitzen in der Ecke - auf der Hut zu sein. Hunderttausend Teufel wird er empfangen und nicht zu Gott kommen.â27 Henri Nouwen erwĂ€hnt zwar, dass es keine magische Stimme sei, die da zu ihm spricht. Aber er zitiert Gott mehrfach - nicht aus der Heiligen Schrift,
sondern aus seiner Fantasie: âAber Gott sagt: âFang doch in der Nabe an, lebe im Mittelpunkt. Dann bist du mit allen Speichen verbunden und brauchst nicht so schnell zu laufen.ââ28 âJesus sagt: âWeine ĂŒber deine Schmerzen und du wirst entdecken, dass ich da bin - mitten in deinen TrĂ€nen. Und du wirst dankbar sein fĂŒr meine Gegenwart in deiner SchwĂ€che.ââ29 Diese Zitate entstammen - wie gesagt - nicht dem Wort Gottes, sondern sollen direktes, unmittelbares, aktuelles Reden Gottes heute sein.
Bei diesem Reden hat man nicht das tatsĂ€chliche Reden Gottes, das durch den Heiligen Geist inspiriert in der Heiligen Schrift vorliegt, sondern eine bloĂe Vorstellung, eine Einbildung, ein Bild und
damit letztlich nur einen Götzen. Ulrich Eggers greift in seinem Artikel noch einmal die âgequĂ€lte Pflichtâ vom Beginn des Sonderheftes auf:
âManch einer hat schlechte Erfahrungen mit Pflichtprogrammen wie âStille Zeitâ oder Bibellesen.ââ30 An dieser Stelle wiederholt
sich die Auffassung zu Beginn des Sonderheftes von der lĂ€stigen Pflicht. Und durch die âAbschiedeâ der Autoren von der herkömmlichen âStillen Zeitâ setzt sich diese Auffassung beim Leser fest
und wird praktisch als Mehrheitsmeinung suggeriert. Im ĂŒbrigen ist die Pflicht eine Last. Der Mensch ist unabhĂ€ngig und frei von jeder Verpflichtung. Auch der Christ hat keinen Pflichten nachzugehen;
alles ist frei und unverbindlich. Wie oft aber hat der Apostel Paulus die GlĂ€ubigen ermahnt, konkrete Pflichten zu beachten und einzuhalten?! Ulrich Eggers hat schlieĂlich die Alternative zu dem alten
Pflichtprogramm: âMan muss experimentieren und Erfahrungen sammeln, bis man die Art der Stille vor Gott findet, die zu mir und meinem Lebensstil passt.â31 Auch hier wiederholt sich etwas: Der Mensch geht vor. Gott hat sich dessen BedĂŒrfnissen, Neigungen, unterschiedlichen Stilen und GefĂŒhlen anzupassen.
Wenn der eine lieber Bibel liest, kann der andere eben die Zeit mit Gott im Wald spazierend oder still sitzend in der PassivitĂ€t verbringen. âWie aber kann das gelingen - wenn man nun mal kein
disziplinierter Pflicht-Typ ist und mit regelmĂ€Ăigen Stille-Zeiten oder geistlichen Ăbungen nicht klarkommt?â32 Letztendlich lautet
hier die Antwort: Wem biblische Vorgaben nicht passen, der darf sich seinen eigenen Stil suchen und kann irgendwie Zeit mit Gott verbringen, egal wie. Eggers kommt zu der nicht mehr ĂŒberraschenden
Erkenntnis: âIm Lauf der Zeit habe ich begriffen, dass jeder Mensch eine zu ihm passende Art und Weise hat, Stille wahrzunehmen und Gott zu begegnen. Gottesdienste, BĂŒcher, GesprĂ€ch, SpaziergĂ€nge,
Lieder, aktiver Einsatz - es gibt viele Wege, um Gott nahe zu kommen und mehr von ihm zu begreifen.â33 Diese verschiedenen Formen können
natĂŒrlich immer auch ErgĂ€nzung sein, aber niemals Ersatz fĂŒr das Bibellesen. Entscheidend ist nach Eggers nicht Form und Stil, schon gar nicht aktives Tun, sondern geduldiges Warten in
PassivitĂ€t: âEs ist völlig egal, welche Form Sie finden - Stille wirkt, wenn ich mich ihr ohne Erwartungs-Ăberdruck und Produktions-Zwang ĂŒberlasse, Gott bewusst suche - und geduldig warte.â34 Auch Marieluise Bierbaum meint, die Gegenwart Gottes bzw. die Bedingungen dafĂŒr âschaffenâ zu können: âAber ich empfinde: Wir
können ihm besser begegnen, wenn wir dafĂŒr einen passenden Rahmen schaffen.â35
Sogar an einem Platz in der Wohnung will sie Gottes Gegenwart âmerkbarâ werden lassen: âIch meine, es tĂ€te uns gut (und nebenbei: auch allen anderen, die in der Wohnung leben ...), einen
solchen Winkel zu haben, in dem Gott sichtbar und zeichenhaft die Ehre gegeben und seine Gegenwart merkbar wird.â36
SchlieĂlich gibt sie konkrete RatschlĂ€ge, damit das SpĂŒren der Gegenwart Gottes âfunktioniertâ: âEin Fensterplatz oder eine Zimmerecke eignen sich gut, da, wo nicht unbedingt der Abwasch
oder die ungemachten Betten ablenken.â37 Ablenken darf jedoch etwas anderes: âEs hilft, den Ort schön zu gestalten - am besten mit
einem Kreuz, vielleicht ein Hocker oder gar eine Kniebank.â38 Mit Dr. Reinhard DeichgrĂ€ber ist im Aufatmen-Sonderheft wieder ein Autor an
der Reihe, der das PlĂ€doyer gegen das vermeintliche âgequĂ€lte Pflichtprogrammâ aufgreift: âJeder kann selbst herausfinden, was ihm gut tut. Auch bei Gebet und Stille ist es wichtig, dass ich
meinen persönlichen Stil und mein persönliches MaĂ finde.â39 Der Tenor bleibt also gleich: Verpflichtungen und Disziplin in der
Christusnachfolge Nein, UnabhĂ€ngigkeit und BedĂŒrfnisorientiertheit Ja. Das klingt insgesamt nach sinnlichem Wellness-Christentum und einer âPipi Langstrumpf-Theologieâ: âIch machâ mir die Welt,
wie sie mir gefĂ€llt.â Mut, sich bei Bibellese und Gebet zu disziplinieren, macht auch Ansgar Hörsting, PrĂ€ses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, nicht. Sich um regelmĂ€Ăige âStille
Zeitâ zu bemĂŒhen, sei âzwanghaftâ, âversklavendâ und âkleinlichâ: âNatĂŒrlich kann ich auf diese Zeit am Morgen auch mal verzichten. Ab und zu. Hier und dann. Auch fĂŒr ein paar
Tage. Ich gehe nicht zwanghaft daran. Ich konstruiere nicht jenen versklavenden Zusammenhang, als könne Gottes Segen nur dann auf dem Tag liegen, wenn ich morgens Zeit zum Gebet hatte. So etwas macht
Gott unendlich klein und kleinlich.â40 Im achten von zehn Tipps zum âStille-Tagebuchâ heiĂt es: âGott die Zeit der stillen
Begegnung im Tagebuch bewusst hinhalten und ihn bitten, Gedanken zu lenken und Einsichten zu geben. Wer sich bewusst macht, dass Gott dieses Mittel und den dahinter stehenden Wunsch nach Begegnung
gebrauchen will, dem fĂ€llt es leichter, wichtige Erkenntnisse aus dieser Begegnung nicht als Zufall abzutun, sondern darin Reden Gottes ernst zu nehmen.â41 Hier geht es also wieder um das âIn sich Hineinhörenâ, dass Gott nicht nur durch sein Wort geredet hat, sondern auch heute unmittelbar reden wĂŒrde.
Mit Manfred Pagel ist der nĂ€chste Autor an der Reihe, der das âIn sich Hineinhörenâ der biblischen PflichtlektĂŒre vorzieht: âWenn ich verkrampft ein Programm abspule, mir nicht genĂŒgend
Zeit lasse, in mich hineinzuhorchen, wenn ich die Erfahrungen anderer kopieren oder auf jeden Fall aufregende Entdeckungen oder besondere GefĂŒhle erleben will, werde ich nicht frei werden, werde ich bei
mir selbst bleiben. Ich werde mich nur loslassen können, wenn ich alle âVorschriftenâ hinter mir lasse und alles âTun-mĂŒssenâ zur Seite lege. Nichts tun, alles, was mich beschĂ€ftigt, an Gott
abgeben und auf ihn warten, darum geht es.â42 Dieses sich selber âleer-machenâ, sprich PassivitĂ€t, ist die Voraussetzung, Gott zu
begegnen. Sein geoffenbartes Wort, die bereits abgeschlossene Offenbarungserkenntis, zĂ€hlt nur zu den âVorschriftenâ, die es gilt, hinter sich zu lassen. Susanne Geiger kommt wie Astrid Eichler
noch mal auf die abgeschlossene Offenbarung nach Hebr 1 zu sprechen: âIch hatte gelernt, dass nach dem Wort aus HebrĂ€er 1,1+2 âGott zuletzt durch seinen Sohn gesprochenâ hatte. FĂŒr mich, ein
Kind der Zeit nach Christus, gĂ€be es das geschriebene Wort in der Bibel - mehr nicht, aber auch nicht weniger. Also: Gib dich zufrieden!â43
Und Susanne Geiger will sich nicht zufrieden geben. âUnd dann geschah es: Mein Mann und ich besuchen eine Konferenz zum Thema âHeilwerden in Gottes Gegenwartâ. Wir hörten, dass die Stille
Zeit der Ort des vertrauten ZwiegesprÀchs zwischen Gott und seinem geliebten Mensch sei. Ich traute meinen Ohren kaum: In der Stillen Zeit hören auf den Gott, der sich in meinen Gedanken offenbaren und
meinem Herzen begegnen will? Wir wurden eingeladen, jeden Tag ein kleines Gebet zu sprechen: âSprich zu meinem Herzen, verwandele mein Leben und mache mich heil.â Und so betete ich diese wenigen
Zeilen jeden Tag, wann immer sie mir einfielen.â44 Durch Suggestion versuchte Susanne Geiger nun, ein âInneres Hörenâ einzuĂŒben,
doch es funktionierte nicht: âIn einer Therapie erkannte ich, dass ich keinen Zugang zu meinen GefĂŒhlen hatte. Meine vernunftgesteuerte Erziehung hatte mich völlig taub gemacht fĂŒr ein inneres
Hören. In meinem christlichen Umfeld hatte ich gelehrt bekommen, dass der Mensch gefallen und böse sei und nur durch stetes Abtöten der âinneren Triebeâ (der inneren Stimmen) die Möglichkeit
hĂ€tte, âgeistlichâ und âgeheiligtâ zu werden. Und nun musste ich feststellen, dass diese Art, mein Leben fĂŒr Gott zu fĂŒhren, mich hatte krank werden lassen.â45 Susanne Geiger feiert damit auch einen Abschied von dem eindeutig biblischen Menschenbild der gefallenen Schöpfung und beschreibt ihre Heilung wie folgt:
âIn diesem erschĂŒtternden Prozess aber passierte etwas Erstaunliches: Ich hörte Gottes Stimme! Bibelworte âbeauftragtenâ mich nicht mehr - die, die mich ansprachen, trösteten mich. Im
Gottesdienst wĂ€hrend des Lobpreises âsahâ ich vor meinem inneren Auge eine Szene und wusste, durch sie redet Gott zu mir.â46 Die
Heilung fĂŒhrte S. Geiger also zu den in der charismatischen Bewegung bekannten âinneren EindrĂŒckenâ. Und was so schlimm daran ist, dass Bibelworte âbeauftragenâ, erklĂ€rt sich mit der Haltung,
dass die Autoren in Aufatmen durchweg alle ihr Christsein frei von Verpflichtungen machen wollen, denn Pflicht ist Qual und Zwang.
Statt in der Heiligen Schrift erkannte S. Geiger Gottes Reden nunmehr in weltlichen Popsongs: âEs lief ein Song in den Charts in der Kaufhausmusik âGib nicht auf, es hat bald ein Endeâ und in
mir hörte ich Gottes Stimme: âDieser Text ist mein Reden fĂŒr dichâ.â47 Fazit: âNun empfing ich wieder auf allen WellenlĂ€ngen und
kann die Stimme meines himmlischen Vaters heraushören aus allem GerĂ€usch in mir und um mich herum.â48 Der evangelische Pfarrer Stefan
Wohlfahrt berichtet von Exerzitien-Tagen bei der Christusbruderschaft in Selbitz: âIch solle keine BĂŒcher und Zeitschriften, nicht einmal eine Bibel (!) mitbringen, war mir mitgeteilt worden -
nichts, was der Zerstreuung dienen sollte.â49 Dieses Aufrufezeichen im Text setzte Pfarrer Wohlfarth selbst. Diese unvorstellbare
Anweisung, zu Einkehrtagen mit Gott keine Bibel mitzunehmen, hat dennoch seine Beziehung zu Gott entscheidend verbessert; eine Vorstellung, die im klaren Widerspruch zum Wort Gottes steht, nach dem der
Glaube aus dem Wort kommt (Röm 10,17). Pfarrer Wolfahrt bediente sich jedoch anderer Mittel und Quellen. âAm dritten Tag begannen wir, auf unseren Atem den Namen âJesusâ zu legen. Allein sein
Name ruhte in unserem Gebet.â50 âIm zweiten Schritt ging es darum, durch ein inneres Abtasten des Leibes die Wahrnehmung fĂŒr das eigene
Da-Sein und Vor-Gott-Sein zu schĂ€rfen. SchlieĂlich richtete sich die Wahrnehmung darauf, den Atem in die gefalteten HĂ€nde flieĂen zu lassen und auf den ausflieĂenden Atem den Namen âJesusâ zu
legen. ... Auf meinem geistlichen Weg bin ich in den letzen Jahren an einige erfrischende Quellen gefĂŒhrt worden, aber noch nirgendwo ist mir Gott bisher in so geradezu sinnlich spĂŒrbarer Weise nahe
gekommen, wie in diesen Tagen.â51 Zusammenfassend formulierte Wohlfarth vor der Heimfahrt den Satz:
âIch brauche Stille und Gebet, um mein Herz laut schlagen zu hören und den Geist, der darin spricht.â52 âAuch meine Stillezeiten sind
seitdem stĂ€rker von einem GespĂŒr fĂŒr die Gegenwart Gottes durchdrungen.â53 âIch komme mehr und mehr dahin, solche Pausen in der Natur
ganz bewusst auszukosten. In all dem kann mir etwas von Gottes GĂŒte und Gegenwart begegnen.â54 Wohlfarth findet Gott also âin all
demâ, eben in der Natur und damit in den Dingen, was der Lehre des Pantheismus entspricht. Der wahre Gott lĂ€sst sich jedoch nicht irgendwo finden, sondern allein in seinem geoffenbarten Wort, das
durch ihn selbst inspiriert ist (2Tim 3,16). Weiter heiĂt es: âDas Ausruhen in der Gegenwart Gottes hat eine ungemein erfrischende Kraft. Sie fĂŒhrt mich in eine Wachheit, die mich tiefer sehen
und spĂŒren lĂ€sst.â55 Setzt auch das Wort Gottes den Akzent auf âsehen und spĂŒrenâ?
âGlĂŒckselig sind, die nicht sehen und doch glauben.â (Joh 20,29b). âEs ist aber derGlaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, eine Ăberzeugung von Tatsachen, die man nicht sieht.â
(Hebr 11,1). Wie bereits erwĂ€hnt, stellen auch viele weitere Verse den Glauben, das nĂŒchterne Verstehen und Ăberzeugtsein heraus und kein sinnliches SpĂŒren.
Wichtig ist Wohlfarth das âAusgerichtetsein auf die Stimme meines Herzens.â56 Dies erinnert an die oben erwĂ€hnte Evangelistin Christina
Brudereck, die ebenfalls âihrem eigenen Herzen folgenâ will. JĂŒnger Jesu folgen jedoch nicht sich selbst bzw. ihrem eigenen Herzen, sondern verleugnen sogar ihr eigenes Herz bzw. ihre eigenen
PlĂ€nen und folgen ihrem Herrn allein: âWer mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!â (Mk 8,34).
Die christliche Buchautorin Tamara Hinz erklĂ€rt in âAufatmenâ, welche Quellen sie gefunden hat, um im Glauben
zu wachsen. Richtigerweise erkennt sie: âBesonders in schwierigen Zeiten brauchen wir unbedingt Quellen, die uns ernĂ€hren. ... Eine Hauptader dieser Quelle ist fĂŒr mich die Gemeinschaft mit Jesus
und der Blick auf ihn.â57 Doch dann nehmen die GefĂŒhle ĂŒberhand: âHier werden mir Liebesworte zugeraunt, bekomme ich ZĂ€rtlichkeit
und EmotionalitĂ€t; ...â58 Was dann folgt, ist ein PlĂ€doyer, âdie eigenen âgeistlichen Gepflogenheitenâ zu Ă€ndernâ59: Lobpreismusik und Bildmeditation statt Bibellesen und Gebet. Wie viele andere Aufatmen-Autoren begrĂŒndet sie dies mit der angeblichen
Zwanghaftigkeit der âStillen Zeitâ: âIn Krisenzeiten kann es durchaus hilfreich sein, in den schĂŒtzenden Mantel einer fertigen Liturgie zu schlĂŒpfen und die Stille Zeit âeinfach nurâ mit dem
Hören von Lobpreisliedern oder anderen geistlichen GesĂ€ngen, zu denen wir Zugang haben, zu fĂŒllen oder den Eindruck eines aussagekrĂ€ftigen Bildes auf mich wirken zu lassen. Die ânormaleâ Stille
Zeit mit Gebet und Bibellesen droht, zumindest bei mir, sonst schnell abzudriften in ein stĂ€ndiges Kreisen um das Problem in Form von Beten, Beten und nochmals Beten.â60 Die hier gebotene Alternative des Konsums in Form des bloĂen Hörens von Musik und des auf sich Wirkenlassens eines Bildes, belegt erneut den Trend
Richtung PassivitĂ€t. Desweiteren empfiehlt Tamara Hinz, sich einfach abzulenken: âDarĂŒber hinaus hat diese Hauptquelle âJesusâ viele kleine Nebenquellen, die meinen Körper und meine
Seele speisen. Hier ist es gut, einmal hinzuschauen, was mir ganz persönlich hilft und gut tut, was zu meiner Entspannung und Erholung beitrĂ€gt. Das können gute BĂŒcher und Filme sein, singen,
musizieren, sportliche BetĂ€tigungen oder sonstige TĂ€tigkeiten, die uns vorĂŒbergehend aus unserem Gedankensumpf herausholen und unseren Blick auf etwas Frohes und Helles richten.â61 Sicherlich braucht der Mensch auch einen gewissen Ausgleich. Entscheidend dabei sind allerdings nicht die eigenen BedĂŒrfnisse, sondern dass dies âaus
Glaubenâ und im Vertrauen zu Gott und nicht ohne ihn oder neben ihm geschieht: âAlles aber, was nicht aus Glauben geschieht, ist SĂŒnde.â (Römer 14,23b) UnabhĂ€ngig von Gott
fĂŒhren eigene âNebenquellenâvon ihm weg. Daher gelingt ein Leben aus Glauben nur in Gemeinschaft und Ăbereinstimmung mit sowie in AbhĂ€ngigkeit von der âHauptquelleâ. Andi SchlĂŒter,
Jugendreferent der Freien evangelischen Gemeinden, empfiehlt in der Jugendzeitschrift âdranâ mit dem Haupthema âStilleâ Ă€hnliche Abwechslungen vom Wort Gottes: âZuhause auf dem Teppich auf
den RĂŒcken legen, Instrumentalmusik laufen lassen (siehe CD-Tipps rechts) und Gottes Gegenwart wahrnehmen.â62 âDem anderen hilft
gerade die Abwechslung und er geht spazieren, weil er erlebt, dass Gott durch EindrĂŒcke aus der Natur und dem Leben redet.â63
In dieser âdranâ-Ausgabe wird auĂerdem folgender Vorschlag fĂŒr Stille-Abende prĂ€sentiert: âEin
Stilleabend fĂŒr alle Sinne. EinfĂŒhrung. Mit gedĂ€mmten Licht, Kerzen und eventuell ruhiger Musik eine stille AtmosphĂ€re schaffen. Um Ruhe bitten. Jeder bekommt ein Schokoladenherz oder ein StĂŒck
Schokolade und darf es ganz in Ruhe genieĂen: anschauen, daran schnuppern, anlecken, abbeiĂen, im Mund schmelzen lassen, den Geschmack wahrnehmen. Gedanke dazu: Wir dĂŒrfen Stille als etwas zum
GenieĂen wahrnehmen. Sich âStille zu nehmenâ hat manchmal etwas von Pflicht â aber Gott hat den Sabbat erschaffen, weil er dem Menschen gut tut. Darum können wir Stille genieĂerisch angehen.
GebetsĂŒbung: In eine GebetsĂŒbung einfĂŒhren, die sich an eine Ăbung von Ignatius von Loyola anlehnt und helfen soll wahrzunehmen, wie Gott in uns wirkt und wie wir uns in sein Wirken einklinken
können.â64 Geradezu schockierend, aber wohl kĂŒnftig einen neuen Trend setzend scheint folgende erotische Ăbung zu sein:
âEin meditativer Stilleabend. Icebreaker 1. Alle legen sich still im Kreis auf die Erde, den Kopf jeweils auf den Bauch des Nachbarn. Es fĂ€llt schwer, dabei ruhig zu sein und nicht zu lachen, weil
der Magen des anderen grummelt oder man nicht sofort eine bequeme Position findet. Eine nette Ăbung, um auf lockere Art, aber gemeinschaftlich in die Stille zu starten.â65
In derselben âdranâ-Ausgabeâ zum âJahr der Stilleâ personifiziert Julia Obergfell die Stille, indem sie
sie persönlich anspricht und mehrfach beschreibt, was sie gefĂŒhlt hat: âWeiĂt du nĂ€mlich, was mir an dir besonders gefĂ€llt, liebe Stille? Wie Gott meine Besuche bei dir gebraucht, um mir zu
begegnen. Wie nah ich mich ihm fĂŒhle, wenn ich so richtig bei dir ankomme. Wenn der ganze Stress abfĂ€llt und Gott dann plötzlich auftaucht. Wie gut mir Seine NĂ€he gefĂ€llt. Und Seine Stimme! Seine
NÀhe und Sein Reden sind einfach unbeschreiblich schön. Aber du kennst das ja. Es scheint wirklich eine deiner StÀrken zu sein, mich auf Gott aufmerksam zu machen. Gott und du - ihr seid ein richtig
cooles Team! ... Aber nach meinem Besuch bei dir habe ich mich dann wunderbar gefĂŒhlt! Klarer im Kopf. Ich glaube, Gott hat die Zeit bei dir genutzt, einiges aufzurĂ€umen. Und da hatte Er so einiges zu
tun. Er war ganz sanft. Und mein Herz hat sich danach ganz anders angefĂŒhlt.â66
âDie Frucht des Geistes aber ist Stille, ...â Bei so viel Betonung auf Stille könnte man meinen,
dass die Frucht des Geistes in Galater 5,22 folgendermaĂen lauten mĂŒĂte: âDie Frucht des Geistes aber ist Stille, Versenkung, Leer-sein, Passiv-warten und In-sich-hineinhören.â
Stattdessen stellt die echte, biblische Frucht des Geistes nicht Passives, sondern Aktives heraus. Der Heilige Geist bewirkt im GlÀubigen eine neunfache Frucht, die den Eigenschaften Gottes entspricht.
Diese soll auch den Charakter des GlÀubigen prÀgen. Der Apostel Paulus erwartet diese Kennzeichen, wenn er immer wieder auffordert, nach geistlichen Eigenschaften bzw. Tugenden zu streben, dem
nachzujagen, festzuhalten, wachsam zu sein sowie Falsches zu prĂŒfen und aktiv zu widerstehen. Die Frucht des Geistes ist eine Einheit. Daher ist es unzulĂ€ssig, sich auf einzelne Elemente zu
beschrÀnken und andere zu vernachlÀssigen. Dennoch seien hier im Kontext von Stille und Ruhe sowie von PassivitÀt zwei Elemente einmal nÀher betrachtet: Die dritte Eigenschaft dieser Frucht
ist eirhnh, zu deutsch: Friede. Mit diesem Frieden ist sicherlich eine innere Ruhe gemeint. Diese Ruhe ist jedoch kein passives Ruhen inform von Abschalten. Sie grĂŒndet sich vielmehr auf die Zuversicht
der christlichen Hoffnung, auf die GewiĂheit der biblischen VerheiĂungen. Sie ist ein aktives Resultat des Vertrauens auf Gott. Dieser Frieden ist auch deswegen aktiv, weil er sich in Zeiten negativer
UmstÀnde und Anfechtungen aktiv entscheidet, sich nicht auf sich selbst, sondern auf Gott zu verlassen. Die neunte Eigenschaft ist egkrateia, was mit Selbstbeherrschung oder Enthaltsamkeit
(Keuschheit) ĂŒbersetzt werden kann. Hier wird das Aktivsein im Christsein am deutlichsten, denn sich etwas zu enthalten bedeutet schlichtweg Verzicht. Der Christ zĂŒgelt seine BedĂŒrfnisse und
Leidenschaften. Sein eigenes Wohlbefinden, dass, was ihm gefĂŒhlsmĂ€Ăig gut tut, ist dem Wirken des Heiligen Geistes untergeordnet, denn dieser ist ein Geist der Zucht (2Tim 1,7). Nicht nur bei der
Frucht des Geistes handelt es sich um aktive Merkmale im christlichen Leben, auch Paulus ruft ausschlieĂlich zur AktivitĂ€t auf. Doch dieses Aktivsein fordert Anstrengung, Disziplin und
Ăberwindung. Dies empfinden mittlerweile viele Christen als Druck. Hier stellt sich die Frage nach der geistlichen Gesinnung. Ist ein Christ fleischlich gesinnt, wird er auch auf Entscheidendes in
seinem Leben aufpassen und achtgeben, nĂ€mlich, dass er seine eigenen Vorstellungen verwirklicht. Er achtet darauf, was ihm guttut â und zwar nicht seinem Glaubenswachstum, sondern seinem momentanen
GefĂŒhlszustand. Anweisungen sind Einengungen und setzen unter Druck, Anstrengung ist Ăberforderung, Gehorsam und Disziplin ist gesetzlich. Keiner (auĂer er selbst) darf sich anmaĂen, ĂŒber seine
Lebensweise zu bestimmen. Das ist pure Selbstverwirklichung und damit Götzendienst. Geistlich gesinnte Christen dagegen empfinden biblische Vorgaben nicht als Druck oder Zwang. Sie wollen im Glauben
wachsen. Gott gibt ihnen nĂ€mlich den geistlichen Hunger. RegelmĂ€Ăiges Lesen und Studieren im Wort Gottes ist wie das Atmen selbstverstĂ€ndlich und unverzichtbar. Dies macht einfach das Wesen eines
geistlichen Christen aus. Heutzutage gibt es verschiedene Studienbibeln, Kommentare, AndachtsbĂŒcher, Bibelkurse, Konkordanzen und andere Nachschlagewerke, die das Studieren des Wortes Gottes bereichern
können. Besonders fĂŒr diejenigen, denen der Zugang zur Bibel öfters schwer fĂ€llt, sind es hervorragende Hilfsmittel, die das Bibellesen lehrreich, interessant und spannend machen und fĂŒr das
Glaubenswachstum Ă€uĂerst gewinnbringend wirken können.
HintergrĂŒnde In der kritischen und eher anti-evangelikalen Zeitschrift
âPublik-Forumâ werden unverblĂŒmt die HintergrĂŒnde des sinnlichen Christentums aufgezeigt, die viele Evangelikale nicht wirklich wahrhaben wollen. So heiĂt es im RĂŒckblick auf den 2. Ăkumenischen
Kirchentag 2010 in MĂŒnchen: âWenn Menschen von heute das Transzendente suchen, dann wollen sie etwas Konkretes erfahren, wollen fĂŒhlen, riechen, schmecken, murmeln, schweigen, wandern und tanzen. Sie
wollen Gott in ihrem Atem spĂŒren, auf der Haut, in der Nase, auf der Zunge, in den FlĂ€chen ihrer HĂ€nde und unter den FĂŒĂen. Der Trend ist nicht ganz neu, wird aber hier auf dem Ăkumenischen
Kirchentag besonders deutlich. Die verkopfte christliche SpiritualitÀt wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem durch buddhistische und hinduistische Meditationsmethoden verwandelt. Sie haben Eingang
ins Christentum gefunden und zu einer neuen Innerlichkeit gefĂŒhrt.â67 Liest man die weiteren Artikel mit bezeichnenden Untertiteln wie âChristus sinnlich erlebenâ, geht es anhand der Ăberschriften wie bei einer Steigerung vom âChristus in mirâ68 zum âChristus sind wirâ69. Der Religionssoziologe Jörg Stolz erklĂ€rt in
âPublik-Forumâ den Hintergrund des Erfolgs der mystischen SpiritualitĂ€tskurse: âDer Begriff âFrömmigkeitâ, der heute eher negativ mit Pflicht verbunden sei, werde durch den der
âSpiritualitĂ€tâ ersetzt, die fĂŒr Selbstentfaltung stehe.â70 Damit trifft er die im âJahr der Stilleâ von zahlreichen Evangelikalen erwĂ€hnten Positionen genau auf den Punkt, die ebenso die lĂ€stige Pflicht hinter sich lassen und mehr nach Selbstentfaltung, Selbsterfahrung, ja Selbstverwirklichung streben wollen.
Auswirkungen Die Zeiten Àndern sich. Der Mensch ist bequem geworden. Sich
informieren, rechnen und recherchieren funktioniert heutzutage meist maschinell - und das Ă€uĂerst einfach, bequem und schnell. Dieses PhĂ€nomen hat leider auch Auswirkungen auf den allgemeinen
geistlichen Zustand. Der christliche Literatur- und VerkĂŒndigungsdienst hat Schlagseite bekommen zu einfachen, bequemen, sinnlichen, lustigen, oberflĂ€chlichen, dĂŒnnen und selten tiefgrĂŒndigen Inputs.
Die oben zitierten Beispiele aus dem Sonderheft zum âJahr der Stilleâ werden von der Zeitschrift Aufatmen selbst recht vielversprechend angekĂŒndigt: â100 Seiten mit dem besten Material zum
Thema Stille: Biblische Grundlagen, persönliche Erfahrungen, Anregungen zur Umsetzung im persönlichen Alltag.â71 Auch wenn
âAufatmenâ durch sehr fragwĂŒrdige Artikel biblische Grundlagen oft vermissen lieĂ, ist Peter Strauch nach wie vor davon ĂŒberzeugt: âGute biblische Theologie, erweckliche Frömmigkeit und
ehrliches, authentisches Leben gehören untrennbar zusammen - und genau darum geht es in AUFATMEN. Deshalb bin ich von der Zeitschrift so ĂŒberzeugt.â72 Dagegen ist der Evangelist Theo Lehmann von seichter Kost, die entsprechende Auswirkungen hierzulande haben wird, alles andere als ĂŒberzeugt. Zurecht
fragt er in einem anderen Zusammenhang: âWer kann von dieser seichten Kost leben, wenn er nicht mehr im Gemeindesaal, sondern in einer gemeinen GefĂ€ngniszelle sitzt? Wenn nicht mehr fröhlich
getanzt, sondern fies gefoltert wird? Wie sollen die jungen Christen, die wir mit coolen Kurzpredigten unterfordern und unterernÀhren, sich einmal bewÀhren, wenn es hart auf hart kommt? Oder denken wir
etwa, die weltweite Christenverfolgungswelle wird ausgerechnet um das liebe âold Germanyâ, die Insel der Seligen, einen Bogen machen? Wir haben wohl vergessen, was Paulus (aus dem GefĂ€ngnis!)
geschrieben hat: âAlle, die gottesfĂŒrchtig leben wollen in Jesus Christus, mĂŒssen Verfolgung leidenâ (2. Timotheus 3,12). Ich genieĂe es voll Dankbarkeit, daĂ ich nach den DDR-Jahren in einem
freien, demokratischen Land leben darf, in dem ich wegen meines Glaubens an Jesus weder diskriminiert noch verfolgt werde. Aber ich sehe das als eine Atempause an, die Gott uns gönnt, zum Luftholen.
Denn daĂ das alles immer so friedlich bleiben wird, wird mir angesichts der Entwicklung in der Welt immer unwahrscheinlicher. Wir sollten die Atempause benutzen, um uns auf die Zeiten vorzubereiten, in
denen Christsein nicht mehr âgeilâ, sondern gefĂ€hrlich ist. Was wir brauchen, sind bibelfeste, feuerfeste, KZ-fĂ€hige Christen.â73
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1 Ulrich Eggers: Das âJahr der Stilleâ 2010. Informationen und HintergrĂŒnde, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (Witten: Bundes-Verlag, 2009), S. 10.
2 Holger Mix: Stell dir vor, Gott redet, aber keiner hört zu. Warum reden beim Beten doch nur Silber ist, in: dran Nr. 3/2010, (Witten: Bundes-Verlag, 2010), S. 33.
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Ebd.
9 Ebd.
10 Ebd.
11 Ebd.
12 Ebd.
13 Ulrich Eggers: Das âJahr der Stilleâ 2010. Informationen und HintergrĂŒnde (a.a.O.)
14 Ebd.
15 Ebd.
16 Astrid Eichler: Hörsturz. Wenn die Ohren des Herzens taub geworden sind, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 23.
17 Ebd.
18 Ebd.
19 Ebd.
20 Ebd.
21 Ebd., S. 24.
22 Ebd.
23 Christina Brudereck in: U35-Forum. Verantwortung? Ja, danke! (Missionale 2010)
24 Henri Nouwen: Gott begegnen in der Einsamkeit. Wie unser Leben fruchtbar werden kann, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 30-31.
25 Ebd., S. 31.
26 Ebd., S. 32.
27 Ed. E. Plass Vol. 3, What Luther says, S. 1462.
28 Henri Nouwen: Gott begegnen in der Einsamkeit (a.a.O.), S. 32.
29 Ebd., S. 35.
30 Ulrich Eggers: Stille entdecken - ĂŒberall, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 36; Aufatmen Nr. 3/2009, Dossier: Stille, (Witten: Bundes-Verlag, 2009), S. 36.
31 Ebd., S. 37; ebd., S. 37.
32 Ebd.
33 Ebd.
34 Ebd., S. 38; ebd., S. 38.
35 Marieluise Bierbaum: PlĂ€doyer fĂŒr einen heiligen Ort. Einen Platz finden fĂŒr die persönliche Begegnung mit Gott, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 49.
36 Ebd.
37 Ebd.
38 Ebd.
39 Dr. Reinhard DeichgrĂ€ber: Sieben Wege in die Stille. Einfache Stille-Ăbungen fĂŒr den Alltag, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 57; Aufatmen Nr. 3/2009, Dossier: Stille, (a.a.O.), S. 33.
40 Ansgar Hörsting: Ich brauche den Morgen! Im Freistil, nicht zwanghaft, aber doch als zentrales Lebensmittel: PlĂ€doyer fĂŒr die Stille Zeit vor Tagesbeginn, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 64.
41 Jörg Ahlbrecht: Stille-Momente am Abend - Stille-Tagebuch: 10 Tipps, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 68.
42 Manfred Pagel: Mit Gott allein. Meine Stille-Nachmittage am Meer: Wie IntimitÀt und NÀhe eine Beziehung verÀndern können, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 88.
43 Susanne Geiger: Willkommen im Land der Ruhe. Wie sich meine Stille Zeit von mĂŒhsamer Dienstbesprechung zu heiĂ ersehnter Zeit inniger Zweisamkeit entwickelte, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 90-91; Aufatmen Nr. 3/2009, Dossier: Stille, (a.a.O.), S. 40-41.
44 Ebd., S. 91; ebd., S. 41.
45 Ebd.
46 Ebd.
47 Ebd., S. 92; ebd., S. 42.
48 Ebd.
49 Stefan Wohlfarth: Wach werden in der Stille. Den Blickkontakt mit Gott suchen: Ein Bericht ĂŒber zehn Tage Einkehrzeit, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 96.
50 Ebd., S. 97.
51 Ebd., S. 98.
52 Ebd., S. 99.
53 Ebd.
54 Ebd.
55 Ebd.
56 Ebd.
57 Tamara Hinz: âIn dir ist Freude â in allem Leide? Was tun, wenn der liebe Herr Jesus gar nicht so lieb ist? Erprobte Strategien gegen den EnttĂ€uschungs-Blues des Glaubens, in: Aufatmen Nr. 2/2010 (a.a.O.), S. 72.
58 Ebd.
59 Ebd.
60 Ebd.
61 Ebd., S. 73.
62 Andi SchlĂŒter: Jetzt mal die Klappe halten. Inmitten des Alltags mal fĂŒnf Minuten, eine Stunde oder einen ganzen Tag Stille finden, in: dran Nr. 1/2010, (Witten: Bundes-Verlag, 2010), S. 30.
63 Ebd., S. 31.
64 o.O., anwenden. Zwei VorschlĂ€ge fĂŒr Stille-Abende, in: dran Nr. 1/2010, (Witten: Bundes-Verlag, 2010), S. 56.
65 Ebd.
66 Julia Obergfell: Stille, ich mag dich, in: dran Nr. 1 /2010, (a.a.O.), S. 26.
67Eva Baumann-Lerch: Zur Quelle nur barfuĂ.
SpiritualitĂ€t in Zeiten des Missbrauchsskandals: Nur wer in die eigenen AbgrĂŒnde steigt, kann Gott und sich selber finden, in: Publik-Forum Nr. 10/2010, (Oberursel: Publik-Forum, 2010), S. 38.
68Elisabeth Moltmann-Wendel: Christus in mir, in: Publik-Forum Nr. 10/2010, (a.a.O.), S. 41.
69Doris Strahm: Christus sind wir, in: Publik-Forum Nr. 10/2010, (a.a.O.), S. 43.
70Sabine SchĂŒpbach; Barbara Tambour: Mystik fĂŒr
den Kopf. SpiritualitĂ€tskurse auf akademischem Niveau boomen in der Schweiz und in Ăsterreich. Aber was lernt man dort? Und geht das ĂŒberhaupt: SpiritualitĂ€t studieren?, in: Publik-Forum Nr. 18/2010,
(a.a.O.), S. 32.
71Anzeige: Aufatmen. Gott begegnen - Authentisch
leben, in: SCM: Der Geschenke-Katalog 2010 (Holzgerlingen: SCM, 2009), S. 6.
72Stille: Tipps & Adressen. Literatur & Medien, in: Aufatmen. Sonderheft Stille 2010, (a.a.O.), S. 42.
73Theo Lehmann: Das Land ist still. Gegen ein immer
seichteres Christentum in Deutschland, in: idea-Spektrum Nr.22/2004, (Wetzlar: idea, 2004), S. 3.
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